"ENDLICH KOHLE MACHEN"
Die neuen Werkgruppen der Cousins Mehmet und Kazim begonnen während ihres sechs monatigen Aufenthalts in New York. Obwohl Figuren, Augen und Füße erkennbarer Teil der Komposition sind, basiert in Wirklichkeit alles auf Buchstaben, Zeichen und Mauern. Wie in einem leichten Schneefall rieseln zusätzlich Sterne, Dollarzeichen oder Tropfen auf sie hinab. Sehr viel freier geht das Duo mit den grafischen Zeichen um, die Charaktere scheinen sich in ihrer eigenen Bewegung aufzulösen. Freie Kompositionen tragen sie von ihrem Körper nach Außen, dabei heben sie noch einmal ihre Arme in die Luft, reißen die Münder auf, blicken sich hektisch um, vielleicht um einen möglichen Verfolger auszumachen, vielleicht um sich noch schnell zu verabschieden, bevor sie in der Nacht verschwinden. Denn was sie sind, macht sich auch leicht paranoid: Throw-Ups auf den New Yorker Wänden.

Mit Throw-Ups bezeichnet man im Graffiti und Stylewriting einen schnell gemalten Namen, oft im Bubble Style, mit einer runden Kontur und einer einfarbigen Innenfläche. Sie sind keine ausgearbeiteten Wandbilder, sondern ähnlich wie Logos, schnell und flächen- bzw. stadtdeckend reproduzierbar. New York war voll davon, die Cousins mit ihrer eigenen Graffiti-Vergangenheit, fotografierten und archivierten sie. „Alle meinten, wir müssen da unbedingt malen“, erzählten sie. Mit Malen war Graffiti gemeint, wahrscheinlich auf den U-Bahnen, denn New York ist auch ein Mekka der Sprayerkultur. Doch die Cousins entschieden die Throw-Ups zu sich in ihre Bilder zu holen. Sie als lebendige Figuren zu interpretieren um sie schließlich wie eine Schneekugel aus Zeichen und Buchstaben beweglich zu halten.

Auch ganze Wörter wie „same shit“ oder „hate me?“ finden ihren Platz, Buchstaben überlappen Konturen, ihre Typografie erinnert an bekritzelte Schulhefte und Toilettenwände. Crew-Namen kommen vor, oft sind sie eine Kombination aus drei Buchstaben, daneben stehen andere Zeichencodes der Straße. Für den Stadtbewohner und auch für den Kunstbetrachter eine verschlossene Welt, wie eine Geheimsprache. Mehmet und Kazim erklären sie nicht, sondern setzen sie wie Pinsel- oder Farbspuren ein, die ein abstraktes Gemälde füllen. Ihre Dynamik und Komposition lassen an Wassily Kandinskys abstrakte Malereien und Aquarelle denken. Einfache Formen wie Kreise oder Rechtecke, neben Linien und Striche oder zeitweise auch nur hingestrichene, verlaufende Farbspuren in einer Inselkomposition. Das heißt freischwebend auf dem Bildträger platziert. Letzterer, der Bildträger ist im Falle der Cousins nicht die ganze Leinwand, oder das ganze Blatt, denn darauf gibt es sehr wohl einen dimensionalen Raum mit Boden, Schatten und Hintergrund, sondern die Throw-Ups in der Mitte, die hier zu einem eigenen, doppelten Bildträger werden und diese abstrakten Zeichenarrangements auf sich tragen.

Damit negiert sich auch das Figürliche, was ebenfalls ein Merkmal dieser neuen Werkgruppen darstellt. Sie erinnern an einzelne Bilder von Paul Klee, in dem er Figuren in mehrere kubistisch anmutende runde bis eckige Körperformen aufteilte, sie überlappen ließ und daraus grafische Abstraktionen entstanden. Bei den Cousins handelt es sich um Bilder im Bild. Das äußere, umrandende Bild spielt unter Sternenhimmel, vor typischen New Yorker Backsteinmauern, an denen Träume wahrgeworden oder zerplatzt sind, an denen die Flucht gelang, der Sieg erklettert und gerannt wurde, oder eine Niederlage hingenommen werden musste. Alles was davor passiert, quasi das zweite Bild darin, die Throw-Ups, die Protagonisten, verschwimmen in einem Strudel aus Zeit und Zeichen, hin zur Abstraktion.

Dass nun alles in Schwarz-Weiß gehalten ist, ist ein noch nicht dagewesener Schritt des Duos. Bekannt wurden sie schließlich auch durch ihre Wahlfarben Weiß und Rot, das ästhetische Spiel mit der Liebe, dem Verliebtsein, der Rosa-Roten-Brille, den Küssen und schließlich mit ihren roten Trainingsanzügen. Sich die Farbe selbst zu verbieten, war ein gewagtes Experiment. Der Kunsthistoriker mag an Reproduktionen denken und an das Problem der
Schwarz-Weiß-Drucke, für die einige Künstler eben keine Genehmigung erteilen, weil sie ihre Werke nur farblich reproduziert sehen wollen. Vielleicht aus der Angst heraus, dass sie ohne die Farbe an Wirkungskraft verlieren und sich dann, in Grautönen, entblößen. Von vornherein die Farbe wegzulassen, also ein Hauptwerkzeug und Überzeugungsargument der Malerei, bleibt daher ein spannendes Unterfangen.
Auf den Kohlezeichnungen basiert auch der Ausstellungstitel „Endlich Kohle machen“. Natürlich verkaufen sich farbige Bilder immer besser, das weiß jeder Galerist und mittlerweile auch jeder Künstler. „New York ist staubig und weiße Turnschuhe werden schnell grau. Das Wohnatelier in Bushwick, nicht geeignet für opulenten Ölfarbeneinsatz und die Kohle ist ständig knapp in New York. Also haben die beiden konsequent umgesattelt auf Kohle. In New York musste der Wohnraum als Atelier dienen und am Arbeitsplatz wurde gewohnt“, notierten Mehmet und Kazim sich damals. Mit der Kohle zeichneten sie eine ganze Papierserie durch, die am Anfang der New Yorker Werkgruppen stand. Endlich die Kohle in der Hand zu halten, im bunten aufgeladenen New York, war sicherlich auch ein Akt der Entspannung, ein kindlicher Streich zur Verweigerung, woraus eine künstlerische Neuorientierung entstand. Die Zeichnungen machen die starke Wiederholungslust deutlich. Immer wieder aufs neue Mischen sich die Augen und die Backsteine, die Zeichen, die Buchstaben und die runden Körperformen. Aber am deutlichsten tritt hier die sich ständig ändernde Mimik hervor. Wie ein Atlas an Gefühlszuständen: Ärger, Verzweiflung, Erstaunen, Angst, Wahnsinn oder Tatendrang. Der Fokus liegt dabei auf den Mündern, sie verraten am meisten. Heißt es doch eigentlich, dass der Blick Aufschlüsse über den psychologischen Zustand eines Menschen gibt, sind es hier die Münder, die das Tor zur Seele entsperren und weit hochfahren.
Durch die farbliche Negation, bleibt das Figürliche nicht zwangsläufig im Vordergrund. Deutlich stärker tritt jetzt das Spannungsverhältnis von Fläche und Linie hervor, von Deckend und Transparent, von Malerei und malerischer Zeichnung, von Licht und Schatten. Die Komposition wird zum eigentlichen Thema, die Elemente befreien sich nicht nur von ihrer Farbe, sondern damit auch von ihrer Narration. Der Blick wird auf ihre Präsenz gelenkt, nicht auf ihre Symbolik.

Im schwarzen Nachthimmel fliegen gut erkennbar die schwarzen Flugzeuge. Schwarz und Schwarz funktioniert. Still wird es nie, je weiter die Farben entfernt sind, je länger sie schon untergegangen scheinen, umso motivierter sind die Throw-Ups sich zu verausgaben, umso mehr Flugzeuge steigen auf. Die Kohle lässt die Bilder erstrahlen, der Staub wird abgeschüttelt. Die große Kohle ist frisch und immer auch etwas paranoid. Zu ihrer eigenen Sicherheit.

Dr. Larissa Kikol
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